Dienstag, 11. August 2009

Nostalgie



Das Wort verursacht sich selbst. Irgendwann in den Siebzigern wurde es aus irgendeiner Mottenkiste gegraben, und dann war es auf einmal da. Sofern ich mich recht erinnere, löste Nostalgie Makramee ab, was die Innendeko betraf, und sorgte dafür, dass Jens, Sabine und Petra plötzlich Oma Mia und Tante Klärchen besuchten, nur um ungestört auf dem Dachboden oder im Keller nach vergessenen Biedermeier-Schätzchen zu suchen. Kurze Zeit zuvor waren die ersten Sperrmüll-Abfuhren in meiner Heimatstadt gelaufen. Noch aber war nicht jede Abstellkammer leer, und es bestand immer noch die Möglichkeit, ein altes Schränkchen, eine Kommode oder einen bemalten Nachttopf zu finden, und zu Hause zu einer Blumenvase umzuwidmen. Heut sagt man „Retro“, damals war das Nostalgie.


Mutter lernte Filethäkeln und brachte es auch den Töchtern bei, und an Blusen fanden sich plötzlich Rüschen. Im Fernsehen lief Hedwig Courths-Mahler, unvergessen Sabine Sinjen als Griseldis...Im zweiten Programm nuschelte Telly Savalas um seinen Lolly herum, und im Dritten Programm machte Ingrid Steeger sich einen Schlitz ins Kleid (und fand das wunderba-har!)

Zu irgendeiner Zeit in den Siebzigern kaufte meine Mutter sich das überflüssigste Modeaccessoire seit Erfindung des Reifrocks: Eine graue Perücke. Meine Mutter ist 1940 geboren. Warum grau? Warum eine Perücke? Warum nicht lieber Geld zurück legen für die Praxisgebühr?

Oma knüpfte psychedelisch gemusterte Teppiche, wenn sie nicht aus Millionen Metern braunen, beigen oder orangefarbenen Garns kleine Quadrate häkelte, nur um diese zu merkwürdig löchrigen Decken zusammenzunähen.

Ich trug einen Stufenrock, drei verschieden knallrot-weiß gemusterte Blümchenstoffe aneinandergenäht, dazu weiße Sandalen mit Korksohlen und um das ganze zu toppen einen orangefarbenen Schlapphut. (Ich war jung, und Geld hatte ich auch keins.)

Mein Vater nannte meine Mutter „Dickerchen“, die Brigitte-Diät wurde erfunden und auf einmal gabs keinen Nachtisch mehr, sondern nur noch Kalorien. Aber wenige.

Von den eingesparten Kalorien konnte man einen Trainingsanzug kaufen, mit dem man auf dem Trimm-Pfad einen Waldlauf machte. Yay.

Eine Zeitlang war Hawaii-Toast ein kulinarisches Neuerlebnis-und exotische Mixgetränke gab es plötzlich fertig zu kaufen. Irgendein Zeug mit Maracuja-Saft drin, von dem meine Tante Anni behauptete, ein Glas hätte 32% Alkohol, und wenn man zwei tränke, hätte man schon 64 intus. Niemand gab mehr zu, dass er mal „Kellergeister“ getrunken hatte.


Dann erschienen, über Nacht, auf einmal Bilder vorn auf den T-Shirts (mit Glitter!), die Schulterpolster litten unter Blähungen und die Haare unter Dauerwellen.


Ich zog mir die Turnschuhe an, legte den Palästinenser-Feudel um den Hals und ging demonstrieren. Die Achtziger waren da.



2 Kommentare:

Paula hat gesagt…

In den Siebzigern sagte mal ein Freund zu mir "you always dress in your clean hippie way", womit er meine Häkelwestchen meinte, gapaart mit einem selbstgenähten Blümchenrock und dazu dänische schwarze Cloqs. Auch trug ich voller Stolz meinen selbstgestrickten Wollbikini (!) in beige nach einem Brigitte-Stickmuster mit angesezten Beinen, sexy war der jedenfalls nicht.
Die Wohngemeinschaftszimmer wurden noch weiß und dunkelbraun gestrichen, passend dazu die braune Häkel-Sofadecke meiner Großmutter. Am schärfsten fand ich aber einen taillierten braunen Pelzmantel meiner Mutter aus den vierziger Jahren mit sehr breiten Schultern, der ging noch als "maxi" durch und kam mit meinen braunen Plateaulederstiefeln richtig zur Geltung. Und nicht zu vergessen, der lachsfarbene taillierte bodenlange Frotteebademantel meiner Großmutter aus einem amerikanischen Care-Paket der vierziger Jahre. Damit konnte ich wie Vivian Lee durch denlangen Flur der Wohngemeinschaft schweben, totschick!
Die achtziger Jahre-Mode habe ich dann nicht mehr mitgemacht und bin dann auf klassich umgestiegen, blaue Jeans, weiße Hemden, schlichte T-shirts und schwarze Jacketts.

Georg hat gesagt…

ich habe gerade Kopfkino.
Schauderhaft.
Aber die siebziger waren schon klasse.
Ich habe Lily beneidet, weil unsere Mutter ihr einen geblümten Stoffstreifen an die Hosenbeine genäht hatte als diese zu kurz wurden. SOWAS wollte ich auch.
Auch wollte ich genauso cool sein wie sie. Vor allem wenn sie mit ihrten Freunden vor dem Haus auf der Mauer saß... ;-)