Sonntag, 25. Mai 2008

GÄHN. Es war spät gestern...




Gestern Abend war ich Zeuge von Wundern.

Nicht nur vom Wundern über die Identität der Personen, die einem gegenüber stehen, sondern auch von wundersamen Ereignissen, die man nur als überraschend bezeichnen kann.


Auf der Homepage, die für das Klassentreffen eingerichtet war, lief ein Ticker, der die Zeit herunterzählte- ein sehr, sehr praktisches Feature.

Denn ich musste mich, nach Migräne und Nachmigräne-Kater, am Samstag Nachmittag noch ein bisschen hinlegen. Etwas von diesen erbärmlichen Kopfschmerzen war zurück geblieben, und auch nur teilweise mit einer Tablette zu bekämpfen. Also hab ich nicht lange gezögert und mich lang gemacht. Bei sowas stell ich mir den Wecker- diesmal überflüssigerweise, denn zum Glück hat der, der immer anruft, eine Stunde später zum Telefon gegriffen. Während wir noch sprachen, hab ich den Ticker aufgerufen und festgestellt, dass ich genau noch 35 Minuten hatte, bis das Treffen begann.

35 Minuten, und ich hatte mit zweieinhalb Stunden gerechnet.

Was mich doch leicht hysterisch machte, und zudem in Eile versetzt hat. Es hätte ja sein können, dass ein Zählappell den ersten Teil des Programms bildet. Und bei sowas fehlt man ja wirklich ungern. Nicht auffallen, dann kann man nicht reinfallen. Oder?


Leider hatte ich somit nicht mehr genug Zeit, um den dicken Hintern abzutrainieren, mir eine gesunde Sonnenbräune und einen Porsche Cayenne zuzulegen, und musste so hin, wie ich war. Also so, wie kleinere Restaurierungsarbeiten unter Beteiligung einer Dusche, einiger Kleidungsstücke und die mehr oder minder geschickte Anwendung des Föhns und diverser Chemikalien mich hinterließen.


Jungs, ich hab euch schon brüllen hören, als ich den Wagen abgestellt habe, um die Ecke in einer Seitenstraße.


Es waren erst sieben oder acht Leute da, und der Lärmpegel war bereits auf Nachbarschaftsbelästigungsniveau. Was hoffen ließ, zumindest auf einen lebhaften Abend.

Und bei Gott, das war er.

Der Biergarten, in dem wir standen, ist vielleicht 10 Meter lang und zweifuffzig breit, und enthält sowohl Stühle als auch Tische, und gestern ungefähr 50 Leute, inklusive einiger überbeschäftigter Servicekräfte. Die Mädels haben ihren Bizeps und die Stimmbänder gestern gut trainiert, ich hoffe, das Trinkgeld war ebenfalls gut!

Da durch die Tür irgendwann kein Zutritt mehr zu erlangen war, sind die Kellnerinnen nach einer Weile über den Parkplatz zu uns gestoßen und haben die Getränke über die Außenwand gereicht- so wurde zumindest sichergestellt, dass die Gläser erst auf den Tischen umkippten, und nicht schon auf dem Tablett.

Und dann kamen die Wunder. In Gestalt von Leuten, die man definitiv noch nie gesehen hat, und die einen merkwürdigerweise mit Namen kannten. Was bei Klassentreffen nicht unüblich ist, aber gestern für mich schon seltsam- denn ich war exakt zwei Jahre in dieser Jahrgangsstufe, habe ich doch wegen der Geburt meines Sohnes die 12. Klasse wiederholt. Und wenn man nicht in der gleichen Leistungskursschiene war, bestanden gute Aussichten, dass man von manchen Leuten nie den Namen erfahren hat- wenn sie zudem nicht im Raucherraum herumhingen, hat man sie auch in den Pausen und Freistunden nie gesehen.

Also gab es einige Leute, die mich nicht nur hätten umrennen können, ohne dass ich sie erkannt habe. Nein, sie hätten derweil auch unentwegt ihren Namen brüllen können- ich hätte trotzdem nicht gewusst, wer sie sind. Umgekehrt jedoch schon- was mir zu denken gegeben hat...

Das war das erste Wunder.


Dann kam das zweite:

Die Namen, die man kannte, mit den Gesichtern, die fremd geworden sind. Zumindest teilweise, manche kamen mir doch entfernt vertraut vor- und nach einigem Graben im Gedächtnis kam auch ein Bild zum Vorschein. Je länger dann das Zusammensein dauerte, um so mehr Ähnlichkeiten mit den Jugendlichen von damals waren festzustellen. Älter, klar, und mit Lebensläufen, die vielleicht ein bisschen unerwartet waren, aber dennoch, vage vertraut.


Die dritte Wunder-Gruppe war die der Leute, die ich sofort erkannt habe, obwohl ich sie 25 Jahre nicht gesehen habe- und die, genau so wie ich, sichtbar älter geworden sind. Faltiger, grauer, dünnhaariger, gestylter, dicker, was auch immer.

Mit denen, alten Freunden zumeist, hab ich mich am längsten unterhalten, und von Minute zu Minute wichen die Falten, die grauen Haare, die Veränderungen, die psychischen und physischen Jahresringe, und zum Vorschein kamen die jungen Leute, die ehemaligen Mit-Demonstrierer, Mit-Konzertgänger, Mit-Kiffer, Mit-Blaumacher, Mit-Philosophierer. Die Leute, mit denen man in Cafés und SV-Raum abgehangen und die Welt verbessert hat, mit denen man nachts über die große Wiese im Stadtpark gelaufen ist, barfuß (das ging damals noch, weil da noch keine Scharen von Jugendlichen Scherben hinterlassen haben- ach ja, die alten Zeiten).

Und dann sitzen sie vor einem, die Ulrikes und Peters und wie sie alle heißen, und es sind keine 25 Jahre vergangen. Nicht im Geringsten.


Schön wars. Wirklich.



Und anstelle des abgelaufenen Tickers stand heut morgen auf der Homepage:

Summer has arrived.



Indeed.



Lily


Ach, und: Eine alte Liebe war auch da- und ist das geblieben, was sie (er) mal war: Eine alte Liebe.

Früher war alles besser- und ich hatte einen erheblich besseren Männergeschmack.

Das Alter macht nicht nur weiser, fürchte ich :-)

Schönen Sonntag, zusammen.

Und meinen Dank an die Organisatoren.

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