Sonntag, 4. November 2007

Spazierengehen

ist eine wunderbare Sache, vor allem, wenn es im Wald passiert.
Der betreffende Wald ist der meiner Kindheit und Jugend, wenn ich auch als Erwachsene nicht allzuoft da war.
Heute hab ich mich zusammengerissen und bin hingefahren, und dann eine Stunde drin herumgelaufen. Es war genau das richtige. Man sieht noch sehr viel Sturmschäden von dem Unwetter Anfang des Jahres, und leider hat die Forstverwaltung an einigen Stellen erheblich eingegriffen. Ich mag es nicht, Baggerspuren im Wald zu sehen. Das ist hier zwar kein Naturschutzgebiet, aber einen verdichteten Boden hat kein Wald verdient. Wo sind die Rückepferde hin?
Im großen und ganzen ist der Wald Mischwald, vornehmlich Buchen, und einiges an Eichen, Birken und was sonst dazu gehört. Plus Jogger. Ebenso einige mehr als grimmig aussehende Walkerinnen. Warum schauen diese Leute immer so, als wäre das letzte, was sie genießen könnten, eine Runde Walking im Wald? Hochrote Köpfe, eine überaus finstere Miene und heftiges Keuchen scheinen dazu zu gehören. Die meisten Menschen, die unterwegs waren, waren Frauen. Die wenigsten hielten sich an die Empfehlungen, so langsam zu laufen, dass man dabei noch reden könnte. Ich schon, aber ich hatte erstens niemanden dabei, und zweitens KANN ich nicht joggen, daran hindert mich eine nervtötende Achillessehne rechts, die immer wieder Probleme macht, und meine allgemeine Unsportlichkeit.
Jedenfalls war der Wald seit der Zeit, in der ich viele Stunden dort verbracht habe, stark verändert. Ich habe lange nicht mehr die Hauptwege verlassen, und was damals große Felder mit üppigem, leicht urzeitlich anmutendem Farnbewuchs waren, ist heute teilweise versumpft. Schonungen sind zu jungen Waldstücken herangewachsen, und ich hätte mich kaum fremder in den Wäldern Neuenglands fühlen können. Dazu die Tonnen schweren Stapel von Kyrills Hinterlassenschaften, die rechts und links die Sicht in den Wald behindern, und an der nächsten Ecke die Sturmschneisen, die neue Blicke eröffnen.
War der Wald früher schon so hügelig? Ich glaube nicht. Meiner Erinnerung nach waren die Hauptwege, die vom Stadtgarten und den zwei Teichen meiner Entenfütterungs-Erinnerung zu den Brücken über die A2 führen, früher gerade, breite Promenaden. Von deren Beginn aus konnte man die Brücken sehen. Inzwischen sind mehrere Senken in den Wegen, und sie sind auch nicht mehr gerade. Letzteres beruht vielleicht darauf, dass die Wege heute anders gepflegt werden, etwas naturnäher vielleicht. Obwohl ich bei den sonstigen Eingriffen, gerade im Bereich des Staatsforstes, eher nicht den Eindruck habe, dass da viel Naturschutz eine Rolle spielt.
Die Senken können eigentlich nur von nachsackenden Schichten über einstürzenden Bergbauschächten her kommen. Dafür spricht, dass die gesamte, einige Wasserläufe enthaltene Fläche rings um die Stadtteiche wohl nicht mehr das richtige Gefälle hat, damit das Wasser auch in den Teichen ankommt. Sonst bräuchte man die Teiche nicht mit enormem technischem Aufwand am Leben erhalten. Wenn man die Teiche wie Biotope behandeln würde, wären sie längst verlandet. So sind sie jeden Sommer kurz vor dem Erstickungstod, und werden besprudelt und mittels Fontänen mit Sauerstoff belüftet. Der Fischbesatz tut dem ganzen auch nicht gerade gut, und die Entenfütterei ebenso nicht. (Hey, als ich ein Kind war, wusste ich wirklich noch nicht, dass ein halber Brötchenstuten keine Nahrung für Karpfen und Stockenten ist)
Na gut, an die Tatsache, dass die Teiche in einer Parklandschaft liegen, deren Naturnähe ohnehin bezweifelt werden kann, ändert auch meine Ranzerei hier nicht.
Jedenfalls gibt es in dem Bereich, in dem ich heute unterwegs war, als Nachlass der IBA, die hier vor einigen Jahren aus dem Ruhrgebiet etwas machen wollte (ich leg mich nicht fest, was sie daraus hervorbringen wollte, das weiß ich nämlich nicht) noch ein paar offizielle Radwanderwege. Deren Schilder, an in den Wald gesetzten Pfosten befestigt, sind verdreht, zusammengefaltet, oder einfach abgerissen. Das ist nicht sehr hilfreich, wenn man zusätzlich bedenkt, dass in einem Wald auch die Wege langsam ihre Verläufe ändern. Da nutzt nämlich auch eine Karte nicht wirklich was.
Aber... und jetzt wünsche ich mir, ich hätte doch die Kamera mitgenommen... an einer Kreuzung sah ich ein Schild. "Vorsicht. Trimm-dich-Pfad kreuzt". Das alte, in Zeiten der Trimm-dich-Welle aufgestellte Schild, in den Originalfarben der siebziger, also kackbraun.
Ich weiß nicht recht, was da zu erwarten ist. Mittelalte Damen und Herren, in Adidas-Trainingsanzügen aus den siebziger Jahren, die Dauerwelle (bzw. den Minipli) in feuchten Kringeln um die erhitzte Stirn geklebt, wie sie aus dem Gebüsch brechen und Bocksprünge über den verblüfften Normalwegbenutzer vollführen? Das Schild hatte entschieden Zeitreise-Charakter und hat mich, wie gesagt, an die Kamera denken lassen, die zuhause lag.
Dabei hatte ich sie absichtlich nicht mitgenommen. Weniger, um mir bedeutende Schnappschüsse durch die Lappen gehen zu lassen, als vielmehr, um den Blick für das ganze Bild nicht zu verlieren. Oder auch erstmal wieder zu kriegen. Die Berechtigung eines Fotos liegt nur darin, dass es den Ausschnitt feiert. Die Gesamtheit bleibt naturgemäß außen vor, und heute war so ein Gesamtheits-Tag. Voller Blätter, bizarr umgefallener Bäume, und mit Moos überwachsener alter Holzbänke. Geschmackvoll angeordnet. Empfinden wir solche Farbzusammenstellungen aus dunklem Grün, schwarzem, nassem Holz und buntem Herbstlaub (Und, Kinders, Buchen sind wirklich schön bunt) deshalb als schön, weil wir genetisch so sehr in diese Art Landschaft gehören? Oder weil es uns überzeugend vormacht, es sei Natur und daher automatisch schön? Nicht schön waren alle Flächen und Ecken, wo der Boden kahl war, und zerfurcht von zu schwerem Gerät. Kahle Böden haben auch da, wo sie darauf warten, dass irgendwas da hinein gesät oder gepflanzt wird, keinerlei Schönheit für mich. Vielleicht für den, der daraus sein Einkommen bezieht, oder als Projektionsfläche für das, was da sein KANN? Mag sein.
In nicht natürlicher Umgebung, also in Städten und Häusern, finde ich leere Flächen in der Regel sehr angenehm und erholsam. Auch Gärten sind nicht natürliche Umgebungen für mich, und auch da gehören eher leere Flächen zu den Dingen, die unbedingt sein müssen. Wenn auch nur, damit Bepflanzungen um so kontrastvoller wirken. Wobei ein Rasen schon eine leere Fläche ist ( und nichts mit Natur zu tun hat).
In Wohnungen sind leere Flächen das, worauf sich Augen ausruhen können. Aber wirklich leere Flächen, keine Schrankwand-Wüsten.
Gardinen, Teppiche, Bilder und Nippes sind eine Art optischer Mauern. Manche Leute finden meine Wohnung kahl, wie sich jetzt wohl jeder vorstellen kann. Ich habe zwar Bilder an der Wand, aber nicht viele, und der Krimskrams auf den Regalen hält sich ebenfalls in Grenzen. Allerdings habe ich reichlich Bücher, die von selbst eine gewisse optische Unruhe ins Spiel bringen. Plus die Art Haustiere, die gern dekorativ in der Gegend rumliegen, wenn sie nicht wirkliche Unruhe ins Spiel bringen.
Wie jetzt zum Beispiel. Futterzeit für die Monster.
Na, wie war die Überleitung?

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