Samstag, 26. Juli 2008

Mal sehen


Mal sehen. Das ist ein Lebensprinzip, das ich in den vergangenen Jahren (nagelt mich nicht auf eine Anzahl fest) bis zum Exzess befolgt habe.

Mal sehen heißt Leben unter Bedingungen, vor allem Wenn-Dann-Bedingungen.

Wenn dies oder jenes, dann so-und-so, wenn anders, dann anders.

Aber irgendwas stimmt damit nicht, und es erschließt sich nicht semantisch. Will sagen, die dem Satzbau ab zu trotzende Logik ist nicht falsch.


Aber Leben? Geht irgendwie anders.

Leben nach dem Mal sehen-Prinzip bedeutet, sich mit dem zufrieden zu geben, was am Wegesrand steht, am Rand des Weges, den man ohnehin entlang stolpert. Meist sind es langweilige Meilensteine, die nur verkünden, wie lang man schon unterwegs ist, manchmal ist das der Wegweiser „Noch 22 Jahre bis zur Rente“, und ab und zu ein Straßenräuber oder ein Schlagloch.

Diese Art Weg hat kein Ziel, abgesehen von der Rente, oder der Zeit-in-der-auf-magische-Weise-alles-anders-wird.

Und Rente? Ist Ruhestand.

Lohnt es sich, still in Ruhestellung zu verharren, wenn der Weg schon so grässlich langweilig und vorhersehbar war?

Nö, definitiv nicht.

Vor über zwanzig Jahren, als ich ziemlich genau halb so alt war wie heute, hat mich der Gedanke „DAS kann nicht alles gewesen sein“ mal aus einer Ehe hinaus getrieben. Meinem 23-jährigen damaligen Ich kann ich heute nur applaudieren.


Leider bin ich im Anschluss daran einem verbreiteten Trugschluss aufgesessen, und hab mich aufs mentale Sofa gesetzt, darauf wartend, dass DasLeben (TM) und DerPartner (TM) mich schon glücklich machen werden.

Trugschluss, wie gesagt.

Ein zunächst diffuses, dann stärker werdendes Unbehagen, Angst und Depressionen haben mich in den Folgejahren umgetrieben, und ich bin hochzufrieden, dass ich nicht zu Drogen oder Sekten neige. Statt dessen bin ich in den letzten 10 Jahren immer wieder in Therapie gewesen, summa summarum für drei Jahre. Denn irgendwie wollte sich DasLeben (TM) nicht einstellen. Irgendwie blieb der Erfolg aus.

Dabei saß ich doch so brav wartend da herum.

Die Therapie hatte ihre Berechtigung und ihre Erfolge. Andererseits haftete auch den Stunden dort ein „Mach mich glücklich“ an, obwohl mir rein intellektuell schon klar war, dass die entscheidenden Schritte von mir zu kommen hatten.

Zusätzlich hab ich gefühlte Millionen von Stunden mit Gesprächen, Selbstgesprächen und Grübeleien, zu zweit oder allein, darüber verbracht, dem magischen Hebel näher zu kommen, der die still liegenden Baustellen in meinem Leben wieder in Gang und ihrer Fertigstellung näher bringen würde.

Die Diskrepanz dieser Passivität zu meinem ansonsten raschen -und harschen- Urteil, und meinem Abscheu vor Selbstmitleid hat mich zusätzlich auf die Palme gebracht.

Jammer, jammer, jammer.


Eine Menge Zorn, verschwendete Energie, und sehr, sehr wenig Ergebnisse dafür.


Viele angefangene Dinge, Ablenkungsmanöver, Verzierungen, aber kaum beendete Projekte.


Ich weiß nicht, wann der Groschen gefallen ist, und was schlussendlich dafür sorgte, DASS er fiel.


Jedenfalls weiß ich jetzt, dass einer Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen nicht damit abgeholfen wird, dass man auf Teufel-komm-raus mildernde Umstände konstruiert (ganz egal, wie sehr man Logik, gesunden Menschenverstand und Verantwortung dazu auch vergewaltigen muss).


Anders ausgedrückt: Wenn mich das schmutzige Geschirr nervt, kann ich entweder damit leben (also wegschauen und trotzdem meinen Spaß haben), oder ich spül es weg.

Sich dafür Leid zu tun ist Unfug.

Sich zu sagen: „Wenn ich gelernt habe, das Geschirr sofort weg zu spülen, dann kann ich es genießen, mit Freunden rauszugehen“ ist haarsträubend und hirnverbrannt. Das ist ein Wenn-Dann-Leben. Das hab ich lang genug geführt, und will es nicht mehr.


Ich glaube, ich bin auch zu alt, um wer weiß wie an meinen Ansprüchen herum zu schrauben. Die haben sich nämlich als bemerkenswert resistent erwiesen.


Manche Sachen an mir finde ich einfach zum Kotzen- daran ändert auch die Umarmung einer ganzen Horde schlecht erzogener innerer Kinder nichts. Dass ich diese Dinge zum Kotzen finde, liegt wahrscheinlich daran, dass ich weiß, dass ich das besser -oder anders- könnte. Sogar ohne mich wer weiß wie zu verrenken.

Die Zeit, in der ich Entschuldigungen dafür gesucht habe, ist jedenfalls vorbei.

Angebrochen ist die Zeit, in der ich aktiv nach Möglichkeiten suchen werde, diese Zustände zu ändern. Erfolg nicht garantiert. Das ist nämlich auch das Leben.



Aktiven Samstag, allerseits. Ich geh jetzt Staubsaugen.


Lily


9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Yeah, do it, Baby! Gestaubsaugt habe ich noch nicht, aber dafür Boden gewischt und Wäsche aufgehängt, und zum Markt war ich auch.

Intelligente Leute haben es offensichtlich besonders schwer, sich zu ändern, weil die Fallen und Ausreden auch so verdammt intelligent sind.

Ich bin noch ein paar Jahre später in die Schuhe gekommen als Du,jetzt trage ich aber schon das dritte Paar Neue und es läuft sich zwar langsam damit, aber stetig - immer weiter. Immer schön zwei Schritte vor, manchmal drei, aber nur noch einen zurück und nicht wieder zurück auf Start.

Schönen Samstag!
Deine Paula

Klapsenschaffner hat gesagt…

An genau diesem Problem schraube ich aktiv und passiv seit Jahren... will sagen: An mir.
Aber ich bin ziemlich imun gegen meinen eigenen Willen.
Und vor allem meine eigenen Einsichten.
Kleine Siege werden natürlich immer mit großen Rückfällen gefeiert.
Ich stehe immer zwischen "mich so nehmen wie ich bin" und "Muss ich denn immer so sein? Da muss doch mehr sein?"
Grumpf

Lily hat gesagt…

Ich glaube, dass das Geheimnis unter anderem darin liegt, das zu tun, was unsere amerikanischen Mitblogger als "pick your battles" beschreiben. Also vielleicht nicht alles zu Tode diskutieren im inneren Dialog zwischen mir und dem Schweinehund.
Mir passiert es oft, dass ich die besten Vorsätze nicht durchhalte, weil ich sie aus den falschen GRünden gewählt habe. Den Diabetes richtig einstellen? Ist gesund- schließlich gibt es einen halben Pschyrembel voller Gründe. Oder?
Der einzige, der FÜR MICH aber aktuell zählt, ist der, dass ich mich jetzt und hier megamies fühle, wenn der BZ bei 300 liegt- oder auch nur bei 190. Ein in 15 Jahren vielleicht kaputter Fuß ist für den Schweinehund ein Papiertiger, der den Kampf gegen die Schokolade verliert.
Dass ich überhaupt festgestellt habe, dass ich mich dann mies fühle, hat schon lang genug gedauert- und ist überhaupt erst fühlbar geworden, nachdem er eine ganz schön lange Zeit einfach mal flachkurvig drunter blieb, und der halbwegs ordentliche Durchschnittswert nicht aus einer Mischung aus Unter-und Überzucker bestand.
Wie sagt noch mein Diabetologe?
Eine angenehme Durchschnittstemperatur ergibt sich auch, wenn der Kopf bei 50 und die Füße bei 0 Grad Celsius verharren...
Sport kann ich nicht aus gesundheitlichen Gründen beibehalten, das ist kein überzeugendes Argument für eine disziplinlose Gesellin. Wenns keinen Spaß macht, kostet es zuviel Motivationsenergie.
Übergewicht abbauen aus gesundheitlichen Gründen? Nada- was mich motiviert hat, ist die Ästhetik, bzw. dass ich mich so einfach hässlich fühle.
Das liest sich alles zwar oberflächlich. Aber wen scheren die Motive, wenn das Ergebnis vielleicht mal stimmt.
Macchiavelli lässt grüßen... Aber diese Motivation wirkt jetzt schon eine ganze Weile länger als jemals zuvor. Und sie kostet keine Mühe.
Ich denke sogar schon über eine Belohnung für mich nach, die der Durchschnittsfeministin vermutlich die Zornestränen in die ungeschminkten Augen treibt. Hehehe.
Aber das wird noch dauern.

Vielen Dank für eure offenen Kommentare. Es ist immer gut zu wissen, dass man nicht die einzige ist, deren Schweinehund mit miesen Tricks kämpft.

Liebe Grüße,

Lily und Piggy :-)

Klapsenschaffner hat gesagt…

Ich versuche das Aas von Schweinehund immer mit kleinen Leckerlis zu überlisten.
wie du schon sagst: Es muss spaß machen, sonst passiert gar nix und der SChweinehund trägt wieder einen Sieg mit nach hause!

Lily hat gesagt…

Vielleicht sollte mal wer ein Kochbuch schreiben: Gesunde Leckerlis für den inneren Schweinehund :D

Meise hat gesagt…

Wow. Wenn das mal kein Aufruf zum aktiven Schweinehundbekämpfen ist!
Ich kann nur immer wieder vor Ihnen den Hut ziehen! Weiter so, werte Lily!

Meise hat gesagt…

@klapsenschaffner:
"Kleine Siege werden mit großen Rückfällen gefeiert"
Oh Mann, das kenne ich!

Anonym hat gesagt…

Pick your battles AND the battle axes!

Wahl der Waffen.

Ich habe eine ganz grosse Allergie gegen das Wort 'Potential' Weil ich immer finde, dass ich ganz andres Potential habe als alle anderen das meinen.. Dabei kommt einem auch zugute, wenn man eigentlich ganz harmlos aussieht, das Innere aber 'mean and cheap and evil' ist!

(O-ton von meinem Ex, hihi)

Getzt lasse mir uns abba net unnekrieche, gell?

Du schaffst das schon.

Andreas Arnold hat gesagt…

Das Motto meiner Familie war immer: "Das kriegen wir schon!". Die Ergebnisse aber leider allzu oft ähnlich wie Ihr "Mal sehen." Manchmal ist es halt so, gleich ob man passiv oder aktiv zu verändern versucht, man muss scheitern, weil die Dinge einfach nicht geegnet waren, sich verändern zu lassen. Manches muss man einfach akzeptieren. Das dauert lange, aber es hilft ab und an, sich mit dem Feind zu verbünden, den man nicht besiegen kann.