Dienstag, 29. Juli 2008

Fragen an Frau Lily- IV

Wenn ich richtig mitgerechnet habe, ist das nun Teil IV der Reihe- aber wie dem auch sei, auf vielfachen Wunsch einer einzelnen Dame (Hallo, DieBraut) folgt nun eben jener.

…leise, wehmütige Musik blendet sich ein…

Man sieht sie nur noch selten, vor allem bei Tageslicht. Gab es sie früher in allen Farben des Regenbogens (und noch ein paar weiteren, nicht so heiteren), und in jedem Muster, welches sich ein kreativer Geist ausdenken konnte, so tauchen sie heute allenfalls in gedeckten Kombinationen von tarnfarbenen, mit dem Hintergrund verschwimmenden Schattierungen auf.

Traf man früher täglich auf sie, wenn sie sich gegen fünf Uhr nachmittags auf den Straßen und an den jägerbezaunten Grundstücksgrenzen versammelten, so kann eine einzelne Sichtung heute schon in der Fachpresse für wochenlange Ekstase sorgen (nein, es heißt nicht „Extase“, danke auch).
Die Rede ist vom gemeinen Zaunkönig in der Variante „Hausfrau im Kittel“. Hier soll das Augenmerk seinem Gefieder gelten.

Erinnert ihr euch?

Kaum war die junge Frau aus dem Brautkleid geschlüpft und der Job war frisch gekündigt (vom Ehemann, wie sich das früher gehörte*), wurde er angelegt: Der Hauskittel. In Teilen der Republik mundartlich auch Kittelschürze genannt, hat dieses kleidsame Universalstück irgendwann zwischen 1981 und 1993 seinen vorletzten Schnaufer getan. Nur einzelne Exemplare halten seither die bunt gemusterte Fahne empor, stolz und traurig zugleich.

Viele von uns, die in den sechziger Jahren aufwuchsen, wuchsen auch mit ihm auf. Bzw. wurden größer, während ihre Mütter tagein, tagaus ein Beispiel für grauenhaften Kleidungsgeschmack bewiesen.

Von unten nach oben, von innen nach außen betrachtet setzte sich der Kampfanzug der Hausfrau wie folgt zusammen:

a) eine Unterhose. Der Ausdruck „Slip“, in sich kurz und schmerzlos, repräsentiert nicht im Mindesten, worum es sich bei diesem Kleidungsstück handelte.
Man nannte das Ding auch „Schlüpfer“, und das nicht zu Unrecht. Er reichte von der Taille bis zum halben Oberschenkel, bei progressiven Gestalten auch nur bis zur Leiste. Er hatte einen eingenähten Zwickel. Er hatte an seinem oberen Ende einen Tunneldurchzug, allwodurch ein strammes Gummi gezogen war, welchselbiges die Frau in der Mitte durchzuschneiden geeignet war.
Natürlich war er weiß. Und kochbar. Frivole Naturen trugen ihn in Hautfarben.

Darüber legte man zu Beginn der sechziger noch den

b) Hüfthalter an. Das war ein Gummiteil, in etwa wie ein Schlauch geformt, mit diversen Vorrichtungen, Haken, Ösen und Verstärkungen in Höhe dessen, was man aufgrund der Lokalisation als „Hüften“ bezeichnet hat. Diese Vorrichtungen verstärkten den „Halt in den Hüften“ (daher der Name) auf Werte, die der Amerikaner als „Heavy duty“ bezeichnen würde.
Am unteren Rand des H. (ebenfalls in Höhe der mittigen Oberschenkel) fanden sich –Straps. Nicht in der frivol-bespitzten Art, sondern schlicht weiße oder hautfarbene Schlabberdinger, an denen mit Hilfe einer Schlinge und eines Knöpfchens die Strümpfe festgemacht wurden.

Über die Strümpfe schweigen wir besser.

Nachdem die Miederwarenindustrie eine Zeitlang einen Spot mit dem sinnigen Spruch „Mein Hüfthalter bringt mich um“ geschaltet hatte, wechselte die Frau aus dem Vorort flugs in die sog. Miederhose *seufz*, wieder Gummi, diesmal nur einzeln und ohne drangetüdelte Strapse, trug man dieses Instrument des Todes bereits über Feinstrumpfhosen.

Nylons? Nylons sind was anderes. Sie sind eine andere WELT.

Aber schreiten wir fort, unverzagt.

Oberhalb dessen, was gängigerweise „Taille“ genannt wurde, setzte der BH ein. Jawoll, der fing in der Taille an. Auch er mit Haken, Ösen, sowie doppelten Lagen von Gummi in Industriestärke besetzt.
Er machte das, was man als römisch-katholische Spitztitte bezeichnet hat (okay, er machte zwei davon. Aber so genau wollte niemand hinsehen)
Nur ein Wort: Waffenschein, anyone?

Zum Glück hatte das Ding keine Ärmel.

Solcherart verschraubt, veröst und allseitig am Wackeln, Beben und Schwingen gehindert, trat Frau in dieser Zeit des morgens vor ihren Kleiderschrank, und wählte die Kittelschürze-des-Tages aus.
Nur in Zeiten arktischer Temperaturen war es erforderlich, über der Gummisammlung auch noch etwas anderes zu tragen.
Es folgte im Normalfall direkt die Kittelschicht. Ärmellos, leicht tailliert (da, wo Hüfthalter und BH eine Überlappung vornahmen und daher so etwas wie eine Taille erzeugten), mit vorn durchgehendem Reißverschluss oder auch Schlichtknöpfen über die gesamte Front verteilt.
Mit großen Taschen. Ohne Ärmel.

Und in abscheulichen Mustern, sämtlich nicht unähnlich Gardinenmustern (egal ob aus den Fünfzigern, den Sechzigern oder den Siebzigern. Kittelschürzen, Wachstuchtischdecken und Küchengardinen hatten immer dieselben Muster)

Und dann? Dann begann die Hausfrau ihr Tagwerk.
Sie schuftete und putzte, spülte und polierte, wusch und scheuerte, rieb und stochte (letzteres machte man mithilfe eines Stocheisens im Ofen- das kennt heut kein Schwein mehr). Und dann kamen die Kinder nach Haus, wechselten aus der Schul- in die Freizeitkleidung und gingen zum Spielen nach draußen. Selbstverständlich nachdem Frau sie gespeist hatte.
Dann trank Frau ihren drei-Uhr-Kaffee (in den sechziger Jahren oft noch Muckefuck), las die Zeitung und schälte schon mal die Kartoffeln für das Essen des Gatten. Die nächsten zwei bis fünf Stunden verhinderte ein Topf mit Salzwasser, dass die Kartoffeln dunkel anliefen.

Falls sich jemand fragt, wo da die Vitamine bleiben, wenn Muttern um drei die Kartoffeln für Vatterns Abendessen schon mal ins Wasser legte: Wer sagt, dass jemand Vitamine verdient, der anderer Leute Job kündigt?

Dann, sofern das Wetter trocken zu bleiben geruhte, traf sich die Hausfrauenbande am Törchen im Zaun. Vor allen in den Siedlungen im Ruhrgebiet sah man sie echt häufig: An die Hauswand oder den Zaun gelehnt, munter mit der Nachbarin klatschend.

Mutige hatten eine Zigarette an.

Alle einen Kittel.

Mit dem Abriss der Zechensiedlungen, dem Wegzug der Arbeit aus dem Ruhrgebiet und dem Zuzug von Menschen aus anderen Ländern starben die Kittelträgerinnen aus. Seither wird allenthalben geschwungen, gewackelt und auch manchmal geschwabbelt.
Meine Mutter, die ihre Dreißiger noch im Kittel verbracht hat (rein aus praktischen Gründen, und wirklich nur im Haus) hat ihn mit 40 abgelegt. Ebenso wie die langen BHs und die knielangen Miederhosenungetüme. Nicht, dass sie jetzt nackt geht- sie hat normale Sachen an, Jeans, T-Shirts und so weiter.
Kleidung ist erheblich billiger und auch erheblich waschbarer, als sie es in den sechziger Jahren noch gewesen ist- zu Zeiten also, in denen auch nicht jeder Haushalt, selbst die mit mehreren Kindern, im Besitz einer Waschmaschine war. Kittel waren nicht nur rasch übergezogen, sondern wegen der Alpträume erzeugenden Muster auch recht unempfindlich und pflegeleicht.
Eigentlich ein praktisches Konzept.
Aber so deprimierend hässlich.
Das war bestimmt Rache an Vattern.
Wegen der Kündigung.

Heute hab ich eine Frau im Kittel gesehen. Mitten in der Stadt, an einer belebten Ausfallstraße, im Gespräch mit dem Repräsentanten ihres Vermieters (es war unüberhörbar).
Der Kittel, Größe 52 cirka, trug ein Gänseblümchenmuster auf dunkelblauem Grund, und einen vorn durchgehenden Reißverschluss.
Dazu keine Strümpfe, und Hauslatschen. Ich wollte sie wirklich nicht fragen, ob sie einen Hüfthalter trägt. Aber wer weiß, wer ihr was gekündigt hat.



Nostalgisch,

Lily

* Ja, der durfte das. Ich hab verdrängt bis zu welchem Jahr, aber das war zulässig.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke sehr :o)
Und wieder was dazu gelernt!

Anonym hat gesagt…

Komisch, meine Omma und Mamma erinnere ich nicht in diesen Ungetümen. Die hatten Stoffschürzen mit Latz und Schleifen zum hinten zubinden an. Die mussten häufiger gewaschen und gebügelt werden.
Und umgezogen haben die sich immer nach dem Mittagsschläfchen, und zum Abendbrot gab's nichts Warmes.

Allerdings waren die beiden auch ursprünglich Bauersfrauen, die früher "ihre Leute" hatten, und sich so benahmen wie die gut-bürgerlichen Stadtfrauen-Vorbilder.

Aber an die weiße und fleischfarbene Liebestöter- und Folterkleidung darunter erinnere ich mich auch noch sehr gut. Damals habe ich mir gewünscht, niemals alt zu werden und sowas tragen zu müssen.

Paula

Meise hat gesagt…

Hihihi, ein klasse Post! Meine Mutter und sämtlichen Nachbarinnen liefen in meiner Kindheit auch mit solchen Dingern rum. Aber nicht zum Einkaufen oder so. Nur zuhause - und wenn man mal eben auf einen Schnack zur Nachbarin ging. ;)
Ich konnte aber in noch gar nicht so lange zurückliegender Vergangenheit eine Putzfrau... ääähm, Reinigungskraft damit arbeiten sehen!

Anonym hat gesagt…

Ich nehm euch alle mal mit wenn ich "meine Alten" besuche! (äh, also dienstlich gesehen, die jenseits der 75, nicht meine Eltern) ;-) Wer nicht so einen Kittel hat, ist voll out! Es gibt sie noch, aber es ist eine geheime Gang und sie nehmen nicht jeden, glaubt mir ;-)
Die Frau, die du gesehen hast gehört bestimmt auch dazu, ich erkundige mich mal! :-D

Anonym hat gesagt…

Ich will meinen Muckefuck wiederhaben! seufz...

Anonym hat gesagt…

Lily, wie immer hervorragend geschrieben, ganz großes Tennis ;-) Manche Buchautoren sind wesentlich schlechter, sag' ich mal.

Aber zur Kittelschürze. Meine Mum trug die bis in die frühen 80er, danach nicht mehr, und bei ihr ist eigentlich mit den Jahren der gegenteilige Effekt eingetreten: die Klamotten wurden immer besser!

Aber so manche Russenoma, die mit Kopftuch durch die Gegend schlappt, trägt noch Kittelschürzen (und wahrscheinlich auch die anderen von Dir geschilderten Dinge, ich will's gar nicht wissen...)

Einen schönen Tag wünscht
Martin (der Dich jetzt endgültig in seine Blogroll aufnimmt :-)

Falcon hat gesagt…

Rot-blau in irgendeinem obskuren Muster war der Kittel meiner Oma.
Ohne war nur an hohen Feiertagen und zum Empfang von Besuch zulässig. Meine Mutter befand sich glücklicherweise schon jenseits der Kittelschürzengeneration.
Wenn ich mir so die Beschreibung des Untendrunter ansehe, muss ja in der Zeit von 1950 - 1980 eine Gummiverschwendung sondergleichen stattgefunden haben. Was hätte man damit nicht alles anderes Schönes machen können...

Lily hat gesagt…

Für Sonntage hatte Oma und hatte auch Mama einen Kittel in weiß. Jaha, man war nicht bei armen Leuten!
Aber nicht ganz so großbürgerlich wie Paulas Verwandschaft. Offensichtlich.
Liebe Uschi: Was ist für dich Muckefuck? Caro Kaffee oder der Original-"Lindes" Kaffeeersatz? Beides ist vielleicht besorgbar.
Und Kate? Ich will nich Omma im Kittel gucken gehen...
@Martin: Danke auch :-)
@Braut: Jederzeit gerne. Frag mich, wenn du was wissen willst:-)

Lily

Anonym hat gesagt…

Ich bin 39 und trage gerne Kittel. Am liebsten die aus Dederon in rot, lila oder flieder. Weiß ist auch sehr schön. Aber man sieht bei diesen zu viel,was man darunter trägt.