Ich bin heute morgen mit noch 15 Einheiten Insulin in der Pumpe los gezogen- eine Menge, mit der ich normalerweise wunderbar über den Tag komme. Da das Frühstück eine Mahlzeit ist, ohne die ich sehr gut leben kann, ist die Rechnung einfach: Durchschnittlich pumpt die Pumpe eine Einheit pro Stunde basal, und bei einer Brutto-Arbeitszeit von 9 Stunden am Freitag lässt die verbleibende Menge ausreichend Raum für ein Mittagessen. Welches ich dann auch eingenommen habe.
Soweit. So gut.
Dann schlugen die EM-Nachwehen zu.
Vom Tippspiel hab ich ja schon berichtet. Aber nicht, dass Kollegin S. die Tippkönigin wurde, mit netto 42 € Gewinn.
Hiervon hat sie einen Teil der Tipp-Community wieder zurück gegeben, in Form eines Tabletts mit leckerem Kuchen.
Na ja, und angesichts von Apfelkuchen und Quarkkuchen (Quarzuhren) und so hab ich abrupt alle Rechenkünste den Göttern der Backkunst-mit-Kohlenhydraten geopfert. Auf deren Altar starben sie einen ehrenvollen und kalorienhaltigen Tod. Ein bisschen hab ich gepumpt, und dann den Überblick verloren.
Ein bisschen war genau genug, um mich gegen viertel vor drei aus dem Pumpe-läuft-alles-gut-Programm in die Untiefen von „Ey, ich piep mir hier den Wolf und du klickst mich weg??“ zu werfen.
Das Taschenschwein, wie meine ständige Begleiterin auch schon mal beschimpft wird, grunzte noch, als ich hier durch die Tür trat. Und eilends die Funktion desselben wieder herstellte.
Da hohe Blutzucker sehr, sehr müde machen, musste ich dann erstmal schlafen- soviel zu guten Vorsätzen betreffs Sport nach der Arbeit.
Klar soll der Diabetiker Sport treiben, und sogar die Diabetikerin, auch wenn sie innerlich doch eher ein zartes Blümelein ist, so wie ich. Aber ab einem BZ von 240 mg/dl soll der Typ eins, und auch die Typin eins, derlei Unterfangen nicht mehr starten. Und mit leerer Pumpe schon mal gar nicht, denn ohne Insulin ist auch Sport nicht geeignet, den BZ zum Sinken zu bringen. Er kann zwar die Wirkung vorhandenen Insulins erhöhen, aber eben kein neues zaubern.
Schade auch.
Wobei der Sport an sich, sinnvoll und samt gutem Monitoring vorgenommen, schon eine klasse Sache ist, das merk ich gerade wieder.
Weshalb das Programm nicht aufgehoben ist, sondern auf morgen früh verschoben.
Das nur, um Frau Meise zu beruhigen, die offenbar den Eindruck gewonnen hat, ich würde die Sportlerei stets über den Drang zur Couch stellen. Nein. Ich doch nicht, Frau Meise.
Das Positive, abgesehen von einem genau richtigen Workout-Gefühl, ist, dass das Ausmaß an körperlicher Anstrengung offenbar ausreicht, um die Insulinresistenz zu beheben, mit der man als Pumpenpatient durch den liegenden Katheter schon mal kämpft. Da das Insulin immer an derselben Stelle in den Körper kommt, kann das lokal schon mal dazu führen, dass das Insulin schlecht aufgenommen wird, und im Gefolge dessen seine Wirksamkeit verliert. Eine Höherdosierung (Gödelisierung? Whatever.) ist da keine Lösung, sondern verbreitet das Problem im ganzen Körper.
Die einzige wirkliche Lösung wäre, den Katheter täglich zu wechseln. Das mach ich nicht, das ist mir schlicht zu teuer. (13,70 € je Katheter)
Bisher jedenfalls hat das Training noch keinen Unterzucker hervorgerufen, vor dem ich, ehrlich gesagt, eine Scheißangst habe. Denn der Schritt von Sich-erheblich-schlecht-fühlen zu „Wo bin ich, und was machen die Leute in den weißen Anzügen hier“ ist inzwischen enorm klein.
Auch Monate des hierfür eigens begonnenen Unterzucker-Wahrnehmungs-Trainings haben meine Fähigkeiten auf dem Sektor nicht verbessert. Also ist ein BZ von 50 kein unwahrscheinliches Ergebnis bei einer Kontrollmessung. Was bedeutet, dass ich bis dahin noch nichts davon gespürt haben muss. Zuverlässig merke ich das Absacken ungefähr ab 40- was definitiv zu tief liegt, um vor dem Umkippen noch viel Zeit zu Reaktionen zu haben.
Und der Unterschied von nur zehn Milligramm Glucose pro Deziliter Blut ist schnell verschwunden, und wenn er auf massiv wirkendem Insulin beruht, auch nicht einfach zu vergrößern. Mittlerweile hab ich wenigstens gelernt, in so einem Fall nicht mehr wie ein aufgescheuchtes Huhn dem Ruf des Adrenalins zu folgen, das dann den Körper überschwemmt, sondern meinen Traubenzucker zu schnappen und mich hinzulegen, vor allem wenn ich alleine bin. Dann kann man schon mal nicht mehr Umfallen und sich verletzen. Man kann immer noch epileptische Anfälle haben, sich dabei die Zunge zerbeißen, oder das Bewusstsein verlieren und im Extremfall so sterben wie das auch ein Epileptiker bei einem Krampfanfall kann.
Da andererseits pathologisch erhöhte BZ-Werte keine Schmerzen, kein Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Heißhunger, Schwindelanfälle, Ohnmacht, Albernheit, Aggressivität oder sonstige Auffälligkeiten hervorrufen, außer vielleicht mal irgendwann Folgeerkrankungen, ist die Folge für den Alltag schon klar. Das bisschen Durst, Juckreiz, Müdigkeit sitzen wir mit dem halben Hintern aus.
Mit der anderen Hälfte nehmen wir auf der Couch Platz.
Also ist Sport eine zweischneidige Sache. Abgesehen von der (sowieso nicht so präsenten) Grundmotivation schwebt da immer die Angst vor der Hypo (Hypoglykämie, Zuckerkrankentalk für Unterzucker) im Raum. Durch das Fenster schaut im Gegenzug gerne die Folgeerkrankung herein, Nierenerkrankungen, Blindheit, verrottende Füße, Herzkrankheiten, you name it.
Manchmal hab ich die Schnauze gestrichen voll.
Und manchmal? Da denk ich einfach nicht drüber nach.
Eigentlich wollte ich ja was zu der Hochzeit, und was ich da anziehen will, schreiben. Das kommt morgen :-)
Und damit das ganze hier nicht zu trübe wird:
Ein Teil der Ernte. Vor den Invasionsversuchen des Weihrauchs gerettet und dann brutal gegessen.
Hihi.
Einen schönen Freitag euch allen,
Lily
6 Kommentare:
Auweia!
Mehr fällt mir dazu gerade nicht ein. Bin nämlich ziemlich sprachlos...
Das Sein bestimmt das Bewusstsein, so hat Marx das bestimmt nicht gemeint, aber passt ja auch hier. Der Blutzucker bestimmt das Befinden, die Hormone die Geühle, ganz schön kompliziert, unsere Biochemie.Und wehe sie ist aus dem Gleichgewicht.
Die wenigsten Menschen machen sich klar, dass sich "normal" oder "gesund" zu fühlen ein unglaubliches Geschenk und keineswegs nur Charaktersache, Erziehung oder Psychologie ist.
Und ich weiß auch keine schlauen Tipps in Deinem Fall. Selbst wenn Dein Tagesablauf wie ein Uhrwerk immer gleich verlaufen würde, wäre der Blutzucker wahrscheinlich trotzdem nicht absolut kontrollierbar. Vielleicht könnte das nur etwas mehr Sicherheit geben. Aber wer hat schon Lust, jede Minute vorher zu planen? Wo bliebe da die Freiheit und die Lust zu leben, oder?
Ich verstehe Dich sehr gut, liebe Lily
Liebe Meise, nicht sprachlos sein- das wirkt sich auf den Blog aus, und das wollen wir keinesfalls :-) Nee, im Ernst, dieses Posting sollte keine Mitleidstour werden. Sondern wie alles, was ich hier schreibe dient es zu 50 % dazu, mir selbst über irgendwas klar zu werden, und die anderen 50 % sind schamlose Selbstdarstellung. :-)
Liebe Paula, Marx hatte recht. UNd vielen Dank auch, dass du noch mal die Schleife zur Erziehung und zum Charakter gezogen hast- denn viel zu oft glaubt man, dass man sich nur noch ein bisschen treten muss und noch ein bisschen bemühen, um manche Dinge hinzukriegen. Ich versuch derzeit sehr vorsichtig, meine Blutzucker- Einstellung zu verbessern, um nicht über das Ziel hinaus zu schießen, und ein Gespür für Wohlfühlen in diesem Zusammenhang zu entwickeln. Dazu gehört Sport, und dazu gehört, etwas weniger mies zu essen. Der Tagesablauf, wäre er denn ein geordneter, würde das sicherlich fördern. Allerdings erzeugt der Gedanke daran bei mir bleierne Leere im Gehirn... die gern mit ein bisschen Schokolade aufgefüllt wird. Deshalb werde ich daran einfach mal nichts ändern. Alles andere ist schon genug. Oh, und ich weiß, dass du mich gut verstehst:-)
Liebe Grüße, an Rhein und Elbe und Ruhr, und überhaupt.
Lily
Genau diese Dinge die Lily schrieb treiben mich machmal dazu ihr die ganze Sippschafft auf den Hals zu hetzen falls ich sie nicht wie gewohnt am Telefon oder PC erwische. Es ist zwar doof für eine erwachsene Frau sich auch mal abzumelden wenn sie etwas unternehmen möchte, andererseits will ich sie halt nicht verlieren...
Nicht böse sein Princes
So einen Georg-Bruder hätte ich auch gern, der sich wirklich kümmert und dafür riskiert sich in die Nesseln zu setzen. Respekt Georg!
Oh, ich hab den Georg-Bruder auch gern:-) Und wenn ich ihn mal einen Tag nicht spreche, und nicht weiß, dass er anderweitig beschäftigt ist, dann würd ich ihm vermutlich auch die Kavallerie auf den Hals hetzen. Leider hab ich in seiner Gegend gerade keine stationiert. Aber ich hätte keine Hemmungen, auch unbekannte Nachbarn aus dem Haus zu holen...stell ich soeben bei Gewissenserforschung fest.
Und ja, ich melde mich ab, wenn ich abends nicht zu Hause bin. Das ist weniger ätzend, als die Familie in der Einfahrt zu treffen, kurz davor, die Polizei zu rufen.
:-)
Lily
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