Freitag, 28. Dezember 2007

Schrille Nacht

Am Baum schimmern die Lichter, und brechen sich tausendfach in glänzendem Geschenkpapier, den Sternen und Schleifen an den Zweigen und spiegeln sich in den Augen der Kinder, die fasziniert vor diesem Monument potenziellen Überflusses stehen.

Aufgeregt furzt Max, und sein Vater wirft ihm einen strafenden Blick zu. Die Mutter rammt ihrem Mann den Ellbogen in die Seite, und zischt:“Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht!“.

Tante Lily, dies bezweifelnd hinter dem Kind stehend, wird bleich und tritt einen Schritt zurück.


Rosa und Lila, des Furzers Cousinen, setzen die Instrumente an.

Fünfzehn Kehlen, vom senilen Sopran bis zum atonalen Bass, stimmen ein - und oh, wie fröhlich, ergießt sich christliches Liedgut über Spielzeug Made in China. Der Musik liebende Onkel Heinz, der jahrelang im Kirchenchor die Tenöre angeführt hat, wird später wieder über Zwölftonmusik sprechen und seinen Abscheu nicht verbergen wollen.

Die schlimmsten gesanglichen Exzesse bleiben in diesem Jahr ungehört, da Rosa von der Blockflöte zur Klarinette gewechselt hat, und diese einfach zu laut ist, als dass irgendein vokaler Abweichler innerhalb ihres Frequenzbereichs noch vernehmbar wäre.


Max furzt. Diesmal blickt der Opa böse.

Max' Vater ist in der Küche. Er rührt in der Soße und freut sich über die Gelegenheit, auch einmal bei irgendetwas mitmischen zu dürfen.


Max' Mutter stellt sich hinter ihren Süßen, da ist inzwischen Platz satt. Sie umfasst seine Schultern und legt ihr Kinn auf seinen Kopf. Dann schaut sie versonnen, und überlegt, wie sie am besten ihr Haupt neigen kann, damit die Lichter des Christbaums in ihren frischen Strähnchen leuchten, und wirft unter gesenkten Lidern ihrer Schwägerin einen Blick zu. Die feilt innerlich an einem Satz über Möchte-Gern-Dianas, und nickt ihren Töchtern aufmunternd zu.

Lila blättert um, und Tante Lily geht in die Küche.

Vielleicht gibt’s da noch etwas vom Kochsherry.

Aus dem Wohnzimmer erklingt „Ihr Kinderlein, kommet“. Tante Lily entfährt ein „Oh Himmel, nicht schon wieder“, und Max furzt.


Johannes-Arndt, der Jüngste, dessen Spitzenkragen bereits unter einem Speichel-Spekulatius­gemisch verkrustet, ist das Singen leid. Seine Mutter kanns auch nicht mehr ertragen, entreißt dem Kind jedoch trotzdem das Spielzeugauto und schaltet die Sirene ab. Sicherheitshalber entnimmt sie die Batterien, schließlich besteht die Familie aus Allstrophlern. Sie singen immer alle Strophen, egal wie entlegen und unbekannt, weil jeder einzelne ein elefantenartiges Gedächtnis für überflüssiges Zeug hat. Nur bei der Nationalhymne wird eine Ausnahme gemacht. Eine deutliche.


Der Kochsherry ist leer, Tante Lily hat den Cognac entdeckt, und schwankt, den Schwenker in der Hand, zurück ins Wohnzimmer. Sie singt halblaut einen obszönen Text zu „Morgen, Kinder, wird’s was geben“- viele Strophen.


Max furzt, und seine Mutter wirft Lily einen vorwurfsvollen Blick zu. Dann schickt sie ihren Sohn in die Küche, damit er seinen Vater holt. Schließlich ist Weihnachten. Und vielleicht hilfts dem Kind ja, wenn es etwas Bewegung hat, es ist immer so lebhaft.


Max stolpert auf dem Weg zur Küche, furzt und steht wieder auf.

In der Küche zerrt er den Dackel aus dem Körbchen und schleift das Tier am Halsband ins Wohnzimmer, damit es auch etwas vom Weihnachtsbaum sieht. Der Dackel, seit Jahren Familienmitglied, windet sich geschickt aus dem Halsband und verschwindet unter der Couch. Dort furzt er, und schläft wieder ein.

Opa, dem die neue Welle des Gestanks den Atem stocken lässt, stapft durch die Enkelreihen zum Fenster und reißt es auf. Die Max-Mutter wirft ihm einen leidenden Blick zu, und schiebt ihren Sohn wieder in die Schar der Kinder vor dem Baum, die ihrem Cousin achtungsvoll Platz machen. Viel Platz.


Tante Lily, zurück in der Küche, holt ein Whiskyglas aus dem Schrank, und ihr Bruder sammelt die Scherben auf. Dann singen die zwei das Lied vom Hund, der in die Küche kam.


Im Wohnzimmer wird umgeblättert.


Oma lauscht, wirft einen ahnungsvollen Blick unter das Sofa, und läuft in die Küche. Dort findet sie den Dackel in der Torte.

Ihre sturzbetrunkenen Kinder stehen am Herd und singen zweistimmig, während sie die Soße mit Marsala verfeinern.


Oma nimmt ihrer Tochter die Flasche weg, und versucht, unter dem Dröhnen der Klarinette kaum hörbar, die zwei zur Rückkehr ins Wohnzimmer zu bewegen. Schließlich schiebt sie sie vor sich her und postiert sie in zwei Sesseln, die sie gut im Auge behalten kann. Dann gibt sie Opa ein Zeichen, der sich todesmutig zwischen die Enkelinnen und ihre Noten wirft, und die Vorstellung beendet. Seine jüngere Tochter tadelt ihn mit Blicken, und die Maxmutter versucht erfolglos, ihre Erleichterung zu verbergen.


Dann erzählt Opa vom Christkind. Johannes-Arndt lutscht an den Batterien seines Feuerwehrautos. Kinderaugen leuchten.


Max furzt.





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Es war natürlich nicht so. Ich war nicht betrunken, das kommt erst heute Abend.

Schönen Tag noch,



Lily






3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und ich dachte immer, wir sind die "Weihnachtsflodderfamilie" ;-)
Hört sich nach nem genialen Fest an!

Lily hat gesagt…

Wie ich schon sagte: So wars nicht. Was nicht heißt, dass es so nicht hätte sein können ;-))

Anonym hat gesagt…

ich war dabei... glaube ich