Freitag, 21. Dezember 2007

Wünsche, Träume, Ziele

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, in welcher Reihenfolge die drei Worte oben in der Überschrift erscheinen sollen, bis ich mich dazu entschlossen habe, sie nach zunehmendem Realitätsgehalt zu ordnen.
Obwohl das auch nicht die richtige Bezeichnung für die Kriterien ist. Man könnte vielleicht eher sagen, dass sie in der Reihenfolge abnehmenden Vorhandenseins aufgelistet sind.
Denn Wünsche habe ich viele, Träume einige, Ziele- keine.

Damit kann man leben, ehrlich.

Wenn auch nicht gerade in irgendeine Richtung, denn die fehlt. Mangels Richtung geht's schon mal im Kreis herum, und von Zeit zu Zeit erwischt man sich dabei, dass man an bekannten Ecken schon wieder herumsteht. Viele Gegenden sind auch nicht besonders attraktiv, sondern ähneln den Emyn Muil oder den Mückensümpfen, wie Tolkien sie beschreibt.
Frodos und Sams Ziel war klar, und gesteuert nicht nur von der Notwendigkeit, den Ring zu zerstören, sondern von der Aufgabe höherer Ordnung, die Welt Mittelerdes zu retten und das erneute Hereinbrechen der dunklen Zeitalter zu verhindern. Solche Ziele hat heute vielleicht noch Al Gore, aber vermutlich geht's da auch nur um Macht und Profil.

Geht es sich leichter mit einem Ziel? Das Beispiel unserer Hobbits ist da vielleicht nicht das treffendste, denn deren Ziel war nur unter erheblichen Härten zu erreichen. Umdrehen hätte sicherlich mehr Spaß gemacht. Die Aufgabe hat sie durch Gegenden geführt, die sie ohne diesen Vorsatz vermutlich nie erreicht hätten. Andererseits glaube ich kaum, dass sie ohne den Druck ihrer Pflicht je den Wunsch gehabt hätten, diese Landstriche zu besuchen. Also kein wirklich geeignetes Beispiel.

Sind Ziele Leuchttürme? Dinge, die als Orientierung dienen? Oder eher so etwas wie ein magnetischer Nordpol, Orientierung und Endpunkt zugleich (wenn man denn zum Nordpol will)?

In einer der unsäglichen Management-Kurse, die ich des öfteren zu besuchen gezwungen war, hat man uns ein paar Dinge über Ziele beigebracht.
Danach war die Beschreibung eines Zustands der, wenn auch minimal, vom aktuellen Zustand abweicht, bereits eine Zielbeschreibung- vorausgesetzt, man ist allein, ohne unbeeinflussbare Faktoren, in der Lage, dieses Ziel zu erreichen. Das Erreichen des Ziels soll messbar sein.

Natürlich bezieht sich diese Definition auf berufliche Ziele, auf die Dinge, die man mit seinem Mitarbeiter vereinbart, um den zu veranlassen, einen Schlag schneller zu arbeiten.

Da es nicht so sehr um berufliches Fortkommen geht, bin ich ein bisschen mutiger, und bleibe mal bei den Leuchttürmen. Oder den Signalfeuern- egal was, Hauptsache, etwas, was man von Weitem sehen kann.
Da steht also ein Ziel auf dem Berg, und ich bin im Tal. Oder auf einem anderen Berg.

Ein Fluss vor mir zwingt mich vielleicht, einen Umweg zu machen, um eine Brücke oder Fähre zu erreichen. Der Berg lässt mich Meilen und Meilen wandern, um ihn zu umrunden, wenn ich mein Seil vergessen habe und ohne dieses nicht über die Klippen komme. Und dann sind da die Wünsche… nach einer Pause in angenehmer Umgebung, bei der ich mich erholen kann für den weiteren Weg. Nach einem Wald mit Bäumen, in dem ich mir einen Stock zum Wandern suchen kann. Nach einem Geschäft, in dem ich ein Taschenmesser kaufen kann, mit dem ich den Stock zurechtschneiden kann. Nach einer Pommesbude mit Kaffee im Ausschank.

Und die Träume? Wo sind die in dem Bild?

Malen die mir die Ziele in leuchtenden Farben aus? Verschönern die mir den Weg, so dass ich nicht bemerke, wie es tatsächlich um mich herum aussieht?
Vermutlich. Allein schon, um fernab und weit in der Zukunft liegende Ziele anzusteuern… da braucht man was, was einen bei der Stange hält. Oder für die Durststrecken, die Emyn Muil, die Mückensümpfe oder die Ebene der Gorgonnath.
Als solches haben Träume ihren Sinn. Wenn sie mich durch den Tag tragen, und nicht jeden Schritt so deutlich spüren lassen.

Und was machen Träume, wenn man keine Ziele hat?
Ich glaube, sie sind gefährlich und viel versprechend zugleich.
Sie haben das Zeug, zu Zielen heranzuwachsen. Sie können mir ein Bild malen, das mir sagt: DA will ich auch hin; SO will ich werden; DAS ist meine Perspektive. Sie entwerfen eine Zukunft, und machen mir darin Platz, bauen ein Nest, setzen Baby-Ziele hinein.

Das ist das viel Versprechende. (<- egal ob richtig oder nicht: Es sieht krank aus, wenn man das so schreibt!) Sie können aber auch Fantasiegebilde auf allen Bergen der Umgebung aufleuchten und Fatas Morgana* flimmern lassen, Irrlichter anzünden. Und dann? Dann hab ich Leuchttürme überall- es ist vielleicht schön hell, aber das war es auch. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, welches von den Leuchtfeuern ich mit Brennstoff versorgen will, welchen Traum ich nach Prüfung seiner Möglichkeiten weiter träumen will, werde ich entweder stehen bleiben oder kopflos durch die Welt geistern. Soweit zu den Gefahren.

Wenn ich mir das alles so auf der Zunge zergehen lasse, dann hatten es die Frauen früher™ doch verdammt leicht. Die Auswahl aus möglichen Zielen war eher gering, Nonne, Ehefrau und Mutter, Dienstmagd oder Prostituierte- alles andere, wie Königin oder so, kam selten vor und trug nicht so recht den Stempel selbst gebildeter Zielvorstellungen. Abgesehen von Nonne oder Ehefrau/Mutter hatten Dienstmagd oder Prostituierte aber bestimmt auch oft ursprünglich andere Pläne, bevor das Leben als solches die Regie übernahm.
Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte dann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen noch Lehrerin, etwas später dann auch einige weitere akademische und nicht akademische Berufe dem Zielspektrum hinzugefügt werden. Lange ging es dann bei der Verwirklichung der Ziele (z. B. Ehefrau und Mutter) primär darum, vorneweg zu sein in der Reihe derer, die um das knappe Gut der erstrebenswerten Gegenstücke und Zielerreichungshelfer (i. e. Ehemänner und Väter) konkurrierten.
Die, die ganz vorne standen, wurden Königin (oder so), der Rest musste sich nacheinander in die Schlange einfügen. Und die, die die anderen „Möglichkeiten“ „wählten“, standen stets ein bisschen im Zwielicht der vielleicht doch nicht ganz freiwilligen „Wahl“- schließlich gab es auch immer noch die an dem anderen Ende der Schlange. Da, wo es nicht um Königinnen (oder so) ging, sondern ums Überleben.
Aber, Mädels, so richtig rund ging’s erst für die, die ab den sechziger Jahren des 20 Jahrhunderts geboren wurden. Alles steht uns offen, Kinders, alles!
Atomphysik? Kein Problem.
Mutter von 7 Kindern und gleichzeitig Bundesministerin? Legt los!
Domina? Immer ran ans Werk!
Königin? Oh… na ja, nun gut. Nicht übermütig werden.

Ein Mann, den ich mal beruflich getroffen habe, hat gesagt: Wen die Götter strafen wollen, dem geben sie ein Kind mit einem Talent (er meinte eines, das eine teure Ausbildung erfordert).

Von der Warte des Kindes gesehen konnte gerade diesem Kind nichts Besseres geschehen. Es hat ein Talent? Prima, das schränkt die Zielbildung ein. Das Ausmaß der Traumerfüllung (oder die Größe des potentiellen Leuchtturms, sowie die Aussicht von dort) ist dann „nur noch“ eine Frage der Investition von Zeit und Geld und Energie. Umso besser, wenn Eltern da sind, die das Talent erkennen, begrüßen und fördern.

Für viele von uns ist es alles andere als leicht.
Alle die, die mit weit gefächerten Interessen geboren sind, auch mit mehr als nur einer viel versprechenden Fähigkeit, zum Beispiel.
Da kommt es dann darauf an, was so alles vermittelt wird an unterstützenden Faktoren. Durchhaltevermögen ist erstmal was Feines. Urteilsfähigkeit in Bezug auf die realistische Zielerreichungsmöglichkeit ist beinahe noch wichtiger.
Soziale Kompetenz, sei es die eher weiblich-harmonisierende oder die knallhart-karriereorientierte Variante, kommt noch dazu. (Auch letzteres ist eine soziale Kompetenz, wenn man nämlich über die Bedürfnisse anderer hinweg steigen kann, ohne sich in seinem Nachtschlaf gestört zu fühlen, und ohne allzu viel Mordlust auf sich zu ziehen, ist das eine ganz beachtliche Fähigkeit, und sie spielt sich auf sozialem Gebiet ab. Wenn auch nicht im Wattebäuschchen-Wurfbereich)

So, da haben wir dann also eine sozial kompetente, mit Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen ausgestattete, im Vollbesitz ihrer Urteilsfähigkeit befindliche Frau, oder sagen wir erstmal, ein Mädchen. Dieses Mädchen hat ein paar Talente, die sich nicht unbedingt ergänzen. Eine entschiedene Begabung für Mathematik, zum Beispiel, gepaart mit einiger Musikalität. Und weil’s so schön ist, werfen wir noch eine Vorliebe für die Farbe Pink ins Spiel. (Und nein: Ich mag KEIN Pink, und meine mathematischen Fähigkeiten gehen gegen Null. Oder gegen minus Unendlich, wenn es das dann gibt)

Ist der Vater Musiker, und die Mutter Physikerin, wird sie soviel pinkfarbenes Zeug haben, wie sie will, und gleichzeitig Klavierspielen und Vektorrechnung lernen, bevor sie den Kindergarten hinter sich hat.
Ganz normale Leute werden stolz sein auf die guten Leistungen ihrer Tochter. Die werden ihr Musikunterricht gönnen, und ihr hübsche, pinkfarbene T-Shirts kaufen, mit Spitze.
Sind die Eltern arm, wird sie keinen Musikunterricht bekommen, und das hübsche Gesicht wird selten aus etwas pinkfarbenem schauen. In der Schule wird sie gelobt werden, und eine Ausbildung machen, später. Wenn die Eltern die Möglichkeit haben, heißt das, um einem Kind eine Ausbildung zu finanzieren.

Sind die Eltern dumpf und stumpf, kann sie froh sein, wenn sie selbst merkt, dass ihr Mathematik und Musik Spaß machen.

Irgendwie eine blöde Sache, wenn nur in einer von vier hier angedachten (wenn auch natürlich polemisch eingefärbten) Szenarien alle Fähigkeiten gleichermaßen entwickelt und gefördert werden- oder?
Polemik beiseite: Jungs haben es da immer noch leichter. Da ist von Anfang an eher die Perspektive auf die Talente gerichtet- und wenn es divergierende Talente sind, dann geht es eher darum, die beruflichen Aussichten in Bezug auf Erfolg im Sinne von Karriere abzuklopfen.

Kaum jemals wird angesichts des Dilemmas technisch-mathematische Begabung gegen musische Begabung die Wahl davon beeinflusst werden, dass der Knabe ja ohnehin heiratet, und daher die Förderung der musischen Begabung an erster Stelle steht- schließlich muss der Knabe ja irgendwann eine Familie ernähren, und als Klavierlehrer ist das ein harter Job.
Nein, dem räumt man ein, dass er Ingenieur wird, und Klavierspielen als Hobby behält.

Bei dem Mädchen ist, so fürchte ich, auch heute noch ganz häufig in den Hinterköpfen, dass Mathematik nicht das rechte Studienfach für ein Mädchen ist. Wenn sie wirklich Glück hat, lässt man sie Lehramt studieren, mit den Fächern Mathe und Musik.

Vermutlich läuft nichts von diesen Entscheidungen wirklich bewusst ab. Man ist immer nur ganz gerührt, wenn die Tochter die Klarinette spielt, und lobt sie dafür- natürlich auch für die Eins in Mathe, aber von Herzen umarmt man sie dann doch eher an Weihnachten, nach der für ihr Alter erstaunlichen Reife bei der Interpretation irgendeines Stücks für Flöte und Gitarre.
Der Junge wird auch umarmt.
Aber gleichzeitig geht Papa mit ihm in den Bastelkeller, und der Knabe weiß mit 6 Jahren, wie man ein Voltmeter bedient. Und was es anzeigt.

Wirkliche Freiheit bei der Zielsetzung? Sollte anders aussehen. Gegen diese Form subtiler Beeinflussung kann man sich nur wehren, wenn man mit 14 rumzickt, weil man keine Lust mehr auf die Klavierstunden hat. Bewusst dagegen angehen ist fast unmöglich, weil die Verstärkungen auch nicht bewusst eingesetzt werden.

Ähnlich schwer hat es vermutlich ein Junge, der in sich den tiefen Wunsch verspürt, sich einmal um Haushalt und Kinder zu kümmern. Auch das wird nicht belohnt werden, wenn es überhaupt erkannt wird. Wahrscheinlich wird bei der Unterdrückung dieses Wunsches zudem noch Grausamkeit eine Rolle spielen- denn diese Wünsche sind für Jungs noch gefährlicher als für ein Mädchen der Traum vom Nobelpreis für Physik.

Hat der Mensch, ob männlich oder weiblich, einmal das Erwachsenenalter erreicht, ohne Ziele im Leuchtturmsinn entwickelt zu haben, hat er also mangels eindeutigem, drängenden Talent einen Beruf der eher farblosen Variante ergriffen (davon gibt es so einige) und lebt so vor sich hin, dann wird er spätestens in der "Krise der Lebensmitte" sich fragen, was er eigentlich vom Leben noch zu erwarten hat- und wird feststellen, dass einige Ziele ihm inzwischen nicht mehr erreichbar sind.
Sei es, weil die Zeit für manches abgelaufen ist, sei es, weil er Fakten geschaffen hat, die einer neuen Zielformulierung im Wege stehen. Das macht unzufrieden.
Der Alltag hat die Konsistenz von Kleister an den Füßen, die Kinder müssen ernährt und die Frau unterhalten werden. Tritratrullalla.
Madame hört oft und oft The Ballad of Lucy Jordan, und fragt sich, ob sie das hat, was sie sich gewünscht hat.
Die, die abhauen können, tun das oft. Die, die dableiben, aus welchen Gründen auch immer, gehen in Therapie, lernen Motorradfahren oder sonst eine Fertigkeit, an der noch der Feenstaub der Jugend klebt.
Eine wirkliche Befreiung ist das oft nicht, denn selbst gewählte Fesseln haben die Tendenz, besonders gut zu haften, weil sie irgendwo auch passen.
Sich selbst zu befreien heißt ja oft auch Abschied zu nehmen von mancher Annehmlichkeit und vor allem, den Hintern hoch zu kriegen. Dabei ist da so eine schöne Kuhle auf der Couch...

Aber bei unseren Kindern, da können wir etwas ändern. In dem wir sie aufmerksam beobachten, damit wir sicher sein können, dass wir sie auch sehen. Dass wir nichts verpassen von ihren Interessen, Schwerpunkten,Abneigungen und individuellen Charaktermerkmalen - und das, ohne zu urteilen.
Ein Kind, das Schwierigkeiten mit Routine hat, sollte dafür nicht niedergemacht werden. Denn es ist vielleicht besonders begabt für Projekte, die Abwechslung bringen und nicht langweilen. Gleichzeitig sollte es schon in dem Bewusstsein groß werden, dass die meisten Lebensformen Routine beinhalten, und Unterstützung dabei erfahren, sich eine Form zu suchen, in dem die Routinen es nicht erdrücken.
Unsere eigenen Ängste sollten uns nicht dazu bringen, das Kind in einen Beruf zu zwingen, der sicher ist, aber sterbenslangweilig. Da wird es scheitern, bestenfalls, schlimmstenfalls stirbt es innerlich ab.
Viel wichtiger als die gesellschaftliche Akzeptanz der freien Rollenwahl ist es, als Eltern unseren Kindern ganz bewusst die Erlaubnis zu geben, sich für ein Leben nach seinen Talenten zu entscheiden.
Und das eigene Verhalten kritisch zu beleuchten. Alle Kinder zu fragen, ob sie nicht nur Auto-, sondern auch Motorradfahren lernen wollen, und allen gleichermaßen den Führerschein für beides zu bezahlen- und nicht nur den Jungs. Wenn sie es denn wollen, und wenn man es bezahlen kann.
Ihnen zu vermitteln, wo Durchhalten sinnvoll ist, und wo nicht. Denn Durchhalten ist kein Wert an sich - es kann sehr viel klüger sein, etwas abzubrechen, sofern man feststellt, dass das Ziel unerreichbar ist.
Unbezahlbar und kaum später nachholbar ist aber, die Kinder zu ermutigen ihren Weg zu gehen, und Schritt für Schritt auf Ziele zuzusteuern. Auf Ziele, die mutig gesetzt wurden, die auf Wünschen beruhen, und von denen wir träumen.

Schönen Samstag noch.

Edit:
Fatas Morgana... Ich hab das Internet umgegraben auf der Suche nach der Pluralform, bin aber nicht fündig geworden. Hab bei Wiktionary jedoch gelesen, dass sich der Name von der Fee Morgana/Morgaine, auch bekannt und beliebt aus literarischen Bearbeitungen der Artus-Sage, herleitet. Daraus hab ich dann geschlossen, dass es besser ist, den Plural bei dem Wortbestandteil für "Feen" zu bilden, und nicht bei Morgana.
Wer's besser weiß, möge kommentieren.

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