Sonntag, 9. November 2008

Ungefragt

Es gibt wenig Dinge, die ich in meinem Leben mehr bedaure als die vielen ungestellten Fragen.

Wie viel Anlässe hat es gegeben, zu denen ein „Warum?“ angebracht gewesen wäre? Damit meine ich nicht mal vorwurfsvolle Warums, sondern vielleicht mitfühlende, interessierte- Verbindung schaffende.
Ein Viertel meines bisherigen Lebens war ich mit jemandem zusammen, der lange und hart getrunken hat. Die meiste Zeit dieser gemeinsamen Jahre war er trocken. Ich hab ihn weder gefragt, warum er getrunken hat, noch, warum er aufgehört hat. Ich habe auch nicht gefragt, wie das ist, wenn man von einem Stoff abhängig ist, der einem an jeder Ecke ins Gesicht grinst.
Als er sich einer anderen Frau zu wandte, haben wir nächtelang und wochenlang geredet, ich habe mich erklärt und mich klein gemacht, Basis um Basis aufgegeben und betrauert- und nicht einmal „Warum?“ gefragt.

Daraus hätte ich etwas lernen können.
Ich habe etwas draus gelernt- das Falsche. Nämlich: Mir nie mehr so sehr in die Karten schauen zu lassen, mich nie mehr jemandem so weit anzuvertrauen, dass es mich beinahe zerstört, wenn mit dem Wissen nicht gut umgegangen wird. Und ich hab es nie wieder darauf ankommen lassen- die Offenheit hier im Blog betrifft nur Dinge, über die ich „gefahrlos“ reden kann.

Es hätte auch genug Anlässe gegeben, zu denen ein „Wohin?“ die richtige Frage gewesen wäre.

Lange Zeiten der Unsicherheit und Instabilität hätte ich damit vermeiden können, später, in anderen Beziehungen. In denen mit verheirateten Männern, zum Beispiel. Aber auch diese Wohins blieben ungefragt und ich hab weiter gerätselt und mir Gedanken gemacht- und einen ganzen Stausee voller Energie verschwendet, um Zeichen zu deuten, Briefe und Mails zu analysieren und hab vermutlich meilenweit neben der Spur gelegen.
Es hat übrigens nichts gebracht- irgendwann war es dann trotzdem vorbei, und ich kein Stückchen klüger. Weder allgemein, noch im Besonderen.
Mit der ein oder anderen Frage hätte ich mir sicher viele Gedanken gespart. Und Energie- die auf jeden Fall.

Die gelernte Verschlossenheit hat zudem weitere Opfer gefordert.
Menschen, die überhaupt nicht wissen, woran sie mit mir sind- egal, wie nahe sie mir stehen. Ich rede nicht von nachprüfbaren Fakten, die kann jeder wissen- das minimiert Klatsch und Gerede, und ist ohnehin nicht zu verheimlichen. Ich rede von den Sachen, die Angst machen und mich nicht schlafen lassen, von Phasen, zu denen hier die Rolläden nicht hochgezogen werden und ich tagelang die Wohnung nicht verlasse. Und auch mit niemandem rede- ebenfalls tagelang. Das Telefon klingelt munter vor sich hin- und der Trick ist: Keinen Anrufbeantworter haben.

Wenn es soweit ist, muss ich das nicht jedem auf die Nase binden, aber es wäre besser, wenn es Menschen gäbe, die die Chance haben, das mit zu bekommen. Vor allem die wenigen Leute, die ich Freunde nennen kann- es wäre schön, nicht auch diese Freundschaften aufs Spiel zu setzen. Viele mögen es nicht, wenn sie das Gefühl haben, komplett ausgegrenzt zu werden. Oder sie nehmen es übel, wenn diese Beziehungen nicht gepflegt werden. Recht haben sie.

Zum Pflegen gehören aber immer alle Beteiligten. Und wenn es eins gibt, was diese Pflege zu einem gegenseitigen Band wachsen lässt, dann sind das Fragen.

Schlimmeres als „Das möchte ich nicht beantworten“ oder „Das geht dich nichts an“ kann man nicht als Antwort bekommen- andererseit versäumt man vielleicht etwas Wichtiges über den Menschen, der einem gegenüber sitzt, oder der die Mail verfasst hat, die man gerade beantworten will.


Obwohl es jahrezeitlich so gar nicht passt, es ist ja erst November, hab ich einen Vorsatz gefasst.

Nämlich den: Fragen stellen, wenn immer sich welche aufdrängen. Wann immer es wichtig zu sein scheint, wann immer man mit Andeutungen konfrontiert wird, die wichtig zu sein scheinen.

Und wenn die Antwort schmerzt? (das ist mein Alter Ego, das da fragt, das bin nicht ich:-) )

Das ändert nichts- man bekommt die Antwort so oder so an irgendeinem Punkt. Die Welt ändert sich nicht, nur weil man sie ignoriert.



Es gibt noch viel zu lernen.


Einen guten Abend noch, wo immer ihr gerade seid.


Lily

4 Kommentare:

Frau Vau hat gesagt…

Liebe Lily,
wenn Du schon so weit bist, das Problem zu erkennen, ist die Lösung vielleicht nicht mehr weit?
Das mit dem "Warum" hab ich inzwischen gelernt - aber das mit dem "Wohin" .. daran knabbere ich auch noch.
Trotzdem gebe ich Dir (ungebeten) einen Rat: versuche, Vertrauen zu schenken, es lohnt sich! Denn auch wenn man das Risiko eingeht, wieder verletzt zu werden, ist es doch besser als gar keine Gefühle zuzulassen. Und wie soll Dich ein Mensch kennenlernen, wenn Du Dich verschließt?
Gut, das hast Du auch schon selbst festgestellt, trotzdem! Was kann Dir denn schlimmstenfalls passieren? Ein "Nein"! Mehr nicht! Und die Wahrscheinlichkeit eines "Ja" ist genauso hoch.
Lass einfach los..
(wenn ich noch etwas wirr klinge, schieb es bitte auf die Uhrzeit und die Tatsache, dass ich nicht wirklich ausgeschlafen bin......)

Anonym hat gesagt…

Wer wie was, wieso weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm....

Es ist manchmal schwer jemand nach dem Warum zu fragen, weil man genau weiß, dass es Stress gibt oder eine Luftblase platzen könnte. Aber das Risiko ist es wert einzugehen, damit überhaupt sowas wie tiefes Vertrauen entstehen kann. Kleine Geheimnisse sollte schon jeder haben, aber die großen Geheimnisse müssen auf den Tisch.

Und zu der Verschlossenheit: wirkliche Freunde bleibt man ein Leben lang, da kann passieren was will (bis auf ein paar Ausnahmen, z.B. sich den Partner wegschnappen), und wirkliche Freunde lassen sich auch von den heruntergezogenen Rolläden oder nicht beantworteten Telefonaten nicht abschrecken.

Alles Liebe
Paula

Klapsenschaffner hat gesagt…

Da kann ich gar nicht viel dazu schreiben... ich kann mich nur völligst anschließen, denn die meistern Erfahrungen von denen hier berichtet wird, habe ich auch schon, auf die eine oder andere Weise, machen müssen.

Anonym hat gesagt…

Mir ist das auch völlig egal, ob du dein Rolläden runter hast oder nicht oder das Handy mal wieder aus hast, ich nerv dich solange bis ich dich erwische und dann lass ich dich in Ruhe ;-)
Das mit dem Vertrauen zulassen ist schön, aber das ist schwierig, wenn man sich jahrelang davor geschützt hat! Ich glaub aber fest, dass das dennoch wieder möglich ist und dann ist es schön, das stimmt! Und Frau Vivaldi hat recht, es ist besser als gar keine Gefühle zuzulassen auch wenn man verletzt werden kann. Nur wer fühlt, lebt auch, sonst ist man tot...und dafür ist das Leben doch viel zu schön :-)
Katilein die fürchterlich positiv drauf ist im Moment und damit alle nervt, es kommen auch wieder andere Tage :-)